Mittwoch, 30. August 2017

Wenn man in Indien kurz vor dem Ertrinken ist…

…ist wahrscheinlich Regenzeit. Der Regen hat uns nämlich auch überrascht und uns einen Hausbesucht abgestattet. Als wir an einem Tag heimgekommen sind, weil einige Mitarbeiter aus dem Office bei uns in der Wohnung etwas für ein anstehendes Meeting vorbereiten wollten – unsere Wohnung war nämlich ursprünglich als Ort für Meetings angedacht und wird dafür auch weiter genutzt – öffnete eine Mitarbeiterin eine Tür, um etwas abzustellen. Den Raum hinter dieser Tür hatten wir nicht genutzt und dementsprechend auch nie betreten. Als sie die Tür öffnete, hörten wir nur ein „Oh…“, woraufhin wir auch zu dem Raum gingen und sahen, dass der Boden mit einer riesigen, ungefähr 1,5cm hohen Wasserlake bedeckt war und der Eimer, der in der Mitte des Raumes stand, schon längst bis zum Überlaufen gefüllt war. Auch von uns kam nur ein „Oh…“ und der Gedanke, dass wir doch sehr froh waren, dass wir genau diesen Raum nicht dafür genutzt hatten, unsere Taschen abzulegen. Bei weiterem Betrachten der Wohnung fielen uns dann riesige Wasserflecken an den Wänden und Decken auf. Nachdem unsere Mitarbeiter mithilfe einer Kehrschaufel das Wasser teilweise vom Boden entfernt und alle Vorbereitungen getroffen hatten, gingen Melanie und ich zu unserer Vermieterin, um ihr von dem Wasser zu berichten. Auf unsere Aussage „There is water coming throuh the roof.“ Antwortete sie mit „I know.“ Als sie dann unsere Wohnung betrachtete, fielen ihr auch die großen Wasserflecken auf, die ihrer Meinung nach noch nie aufgetreten waren. Sie erklärte uns, dass das Dach undicht wäre, da der Bauherr, der unser Haus gebaut hatte, irgendwann aufgehört hat zu bauen, bevor das Dach vollständig abgedichtet war. Obwohl er seit 10 Jahren ohne Miete zu zahlen in der Dachwohnung des Gebäudes wohnt, hat er sich nie mehr der Abdichtung des Daches angenommen. Wir sollen jetzt einfach warten, bis die Regenzeit vorbei ist, dann wird das Dach repariert werden. Ob wir dann bei strahlendem Sonnenschein (und einer Regenerwartung von 0%...) ein dichtes Dach brauchen, ist ein anderes Thema…

Sonntag, 27. August 2017

Bei uns gibt es solche Probleme nicht!

Wirklich? Keine Probleme in Deutschland? Ich weiß nicht, ob ich über solche Aussagen schmunzeln oder verzweifeln soll. Konkret geht es um Probleme in Hinsicht auf die Gleichstellung der Frau und Sexismus. Wie oft ich bei meinen Recherchen über die Frage gestolpert bin, ob wir Feminismus in Deutschland noch brauchen, kann ich kaum noch zählen. In den letzten Tagen habe ich mich etwas intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt, da ich unseren Mitarbeiterinnen im Büro gerne mehr über die Lage der Frauen in Deutschland erzählen würde. Und dabei ist mir aufgefallen, wie wenig ich während meines Lebens in Deutschland über diese Problematik nachgedacht habe.

 Mir war nicht bewusst, dass in unserem „fortschrittlichen“ Land die Vergewaltigung in der Ehe erst seit 1997 eine Straftat darstellt. Es mag harsch klingen, aber selbst Jugendliche in meinem Alter hätten durch so ein Vergehen noch entstehen können, und das hat mich doch schon etwas überrascht. Oder auch, dass erst seit letztem Jahr der Grundsatz „Nein heißt Nein“ in das Gesetz bezüglich sexueller Übergriffe aufgenommen wurde. Oder was sagen die Feminismus-Gegner in Deutschland zu der Tatsache, dass Frauen durchschnittlich immer noch wesentlich schlechter bezahlt werden, wie ihre männlichen Kollegen? Wie rechtfertigen sie, dass in der Werbung nackte Frauenkörper als Ablage genutzt werden und für Produkte werben, die nichts mit dem weiblichen Körper an sich zu tun hat? Ich finde es vollkommen ok, wenn ein Unterwäsche-Label seine Waren an einem Frauenkörper präsentiert, dafür sind diese Produkte ja schließlich gemacht. Aber was haben künstliche Brüste mit Bierkästen zu tun? Und warum muss man eine Frau mit Banane abbilden, um mitzuteilen, dass die neusten Angebote die Kunden „wegblasen“ werden?


Bevor man also mit Fragen um sich wirft wie: „Du in Indien? Als Frau? Wirst du da nicht schlecht behandelt?“, sollte man über die Lage im eigenen Land nachdenken. Nicht umsonst gaben bei einer Studie 40% der Deutschen Frauen an, schon einmal Gewalt erlebt zu haben (sowohl körperliche als auch sexuelle). Und auch ich muss zugeben, dass ich in Indien bisher noch keinen Grapsch-Attacken ausgeliefert war, was in Deutschland hingegen schon sehr wohl vorkam. Natürlich bin ich erst seit einer kurzen Zeit hier und möchte mit diesem Eintrag auch nicht implizieren, dass es in Indien bezüglich der Thematik keine Probleme gäbe. Die gibt es sehr wohl. Aber sie werden hier, im Gegensatz zu Deutschland, viel stärker thematisiert. Und das ist es doch, was erstrebenswert ist. Ein offener Dialog über bestehende Probleme.

Freitag, 25. August 2017

Markt oder Mall?



Dies ist unsere fast tägliche Frage. Da wir inmitten einer Großstadt wohnen, sind unsere Einkaufsmöglichkeiten nahezu unbegrenzt. Und das „nahezu“ auch nur, weil ich bis jetzt noch keine Gemüsebrühe gefunden habe. Gemüse kaufen wir am liebsten auf dem Markt in einer Straße in unserer Nähe. Hier gibt es vom Maiskolben bis zum frischen Granatapfel wirklich alles.

Sonstige benötigte Lebensmittel kaufen wir in einem größeren Supermarkt, den wir mit der Rikscha erreichen können. Und da heute ein Feiertag ist, an dem wir nicht ins Office müssen, aber die Läden trotzdem geöffnet haben, begaben wir uns auf eine kleine Erkundungstour in unserem Viertel. Kaum um ein paar Ecken gelaufen, stolperten wir auch schon über ein großes Einkaufszentrum. Nach einer kurzen Sicherheitskontrolle und einer Fahrt in einem ziemlich vollen Aufzug tauchten wir ein in den Indischen Shopping Himmel. Ich persönlich gehe in Deutschland nicht oft shoppen, vor allem auch, weil mir Nachhaltigkeit sehr wichtig ist. Aber es war trotzdem interessant zu sehen, was für Möglichkeiten es in unserer Stadt alles gibt. Zuerst steuerten wir die Kinderabteilung an, da Tine (aufgrund von Kuschelentzug) einen Kuschelpartner kaufen wollte. Schnell fanden wir eine riesige Auswahl und ihre Wahl fiel auf einen großen, flauschigen Teddy.
Danach ging es weiter in die Küchenabteilung, wo wir zu unserer großen Erleichterung einen Topfhandschuh fanden. Ich dachte nicht, dass ich mich über so etwas tatsächlich mal freuen würde. Da unsere Töpfe aber nicht mit Henkeln ausgestattet sind, verbrannten wir uns regelmäßig die Hände. Das hat jetzt hoffentlich ein Ende. Weiter ging es durch die Möbel- und Elektroabteilungen. Irgendwann fielen uns sogar Yoga-Matten ins Auge und begeistert legten wir uns jeweils eine zu. Jetzt gibt es keine Ausreden mehr gegen das Fitnessprogramm im Wohnzimmer. Als Gegenspieler des Fitnessprogramms gab es dann aber sogar noch frischen Kuchen und Muffins in der Mall. Auch Zuckerwatte wurde frisch vor unseren Augen zubereitet.


Dieser Tag hat dazu beigetragen, dass mein Bild von Indien noch bunter geworden ist. Von wegen Verzicht und Armut. In den Städten wird so einiges geboten!










Seit wann ist eine Rikscha ein Auto?

Nachdem unsere Police Registration seit ein paar Tagen mehr oder weniger abgeschlossen ist, dürfen wir unsere Umgebung nun endlich auch auf eigene Faust erkunden. Anfangs war ich damit ehrlich gesagt etwas überfordert. Bus fahren? Lieber nicht, den Busplan zu durchschauen ist gar nicht so leicht. Ein Taxi? Nicht gerade die billigste Variante. Übrig bleibt noch die Rikscha, in Indien übrigens „Auto“ genannt.

Aber wie sollten wir mit den Fahrern kommunizieren? Weder Telugu noch Hindi zählen Momentan zu unseren Stärken. Wie gut, dass es hier für alles eine App gibt. Unsere Rettung heißt Ola, eine App über die man sich tatsächlich eine Rikscha vor die Haustür bestellen kann. Und da man in dieser App auch den Zielort eingeben kann, erleichtert das die Kommunikation erheblich. Wie zuverlässig das Ganze auf Dauer funktioniert, werden wir auf jeden Fall noch berichten. Bisher profitieren wir von dieser App aber nur. Auch da die Fahrer ohne diese App preislich nicht gebunden sind. Wenn sie dann merken, dass wir neu in der Stadt sind und an die angemessenen Rupien-Preise noch nicht gewöhnt sind, versuchen sie natürlich ihr Glück, den Fahrpreis in die Höhe zu treiben. So kann dann schon mal der doppelte Fahrpreis verlangt werden. Wenn wir dann aber in der App den Fixpreis sehen, sind wir auch finanziell auf der sicheren Seite. Alleine von A nach B zu kommen ist momentan immer wieder ein neues kleines Abenteuer für mich. 

Dienstag, 22. August 2017

Was kocht eine gute Hausfrau eigentlich jeden Tag?

Dass Inder gerne und auch viel scharfes Essen zu sich nehmen, das war uns bekannt. Dass in Telangana aber besonders scharf gegessen wird, selbst für indische Verhältnisse, lies dann doch etwas Bammel aufkommen. Umso größer war dann meine Erleichterung als ich erfuhr, dass wir für uns selbst kochen sollten und auch unser Mittagessen mitbringen durften. Dennoch stellte uns dies vor eine neue Herausforderung. Was kocht man eigentlich jeden Tag so? Und wie findet man alle benötigten Zutaten in einem indischen Supermarkt? Letztere Sorge wurde schnell ausgelöscht, als wir vom kleinen Markt um die Ecke absahen und in einem nach westlichen Verhältnis „richtigen“ Supermarkt einkaufen gingen. Hier findet man fast alles was das europäische Schlemmerherz begehrt. Natürlich liegt das daran, dass wir in einer großen Studentenstadt sind, aber hiervon profitieren ich und mein Magen ehrliche gesagt gerne. Die Frage nach dem was, kann aber auch der bestausgestattete Supermarkt nicht beantworten. Und so ist jeden Tag aufs Neue etwas Kreativität von uns gefordert. Aber mit Stolz können wir behaupten, die erste Woche überstanden zu haben, ohne an Mangelernährung gestorben zu sein.  Einen kleinen Einblick in unsere kulinarischen Meisterleistungen erhaltet ihr im Folgendem.

Unsere erste Mahlzeit in Hyderabad kann man wohl kaum Indisch nennen

Und auch das erste selbst gekochte Essen würde wohl noch keine Auszeichnung gewinnen


Das Gemüse sieht hier auch etwas anders aus als in Deutschland. Aber ich habe das Gefühl, dass wir uns lieber über die Form des Gemüses in Deutschland Gedanken machen sollten, anstatt das Gemüse in Indien komisch zu finden. Frisch schmeckt hier auch alles extrem lecker, so auch der Granatapfel, den wir zusammen mit Porridge zum Frühstück verspeist haben.

Unser Essen wird von Tag zu Tag vielfältiger, so seht ihr hier beispielsweise wie wir uns mit "Indischen"
Zutaten Wraps gezaubert haben

Montag, 21. August 2017

Paarberatung? Das kann doch nicht so wild sein...

Nachdem wir die Tankstelle besucht hatten, fuhren wir weiter in eine Polizeistation für Frauen, in der ein Counseling – Center unser Organisation Bhumika ihren Sitz hat. In dieses Center wurden wir eingeladen. Die Leiterin des Centers erzählte uns von ihren Aufgaben. In das Center kommen oft Frauen, die eine unglückliche Ehe führen, weil sie von ihren Männern geschlagen, betrogen oder ausgenutzt werden. Diese Fälle werden dokumentiert und die Frauen bekommen einen Termin, an dem sie, gemeinsam mit ihrem Ehemann, kommen können und dann gemeinsam nach einer Lösung gesucht wird. Während uns die Leiterin über ihre Arbeit berichtet, laufen in dem Center Frauen, Paare, Kinder, alte und junge Leute herum. Für die Kinder gibt es einen kleinen Spielplatz, auf dem sie Schaukeln, Rutschen und sich ein bisschen von dem ganzen Tumult um sich herum ablenken können. Die Leiterin hat in ihrem Raum zwei riesige Bildschirme, durch die sie die vielen Bewachungskameras auf dem Gelände überblicken kann. Vor ihr auf dem Schreibtisch liegen viele Mappen mit Unterlagen, Photos und Berichten über die einzelnen Fälle. Während wir im Raum sitzen, sind auch eine Frau und zwei Männer anwesend. Die Frau will einen Fall einreichen, hat aber ihre Unterlagen nicht dabei und wird daher gebeten, am nächsten Tag mit Unterlagen wieder zu kommen.
Nachdem wir das Gespräch mit der Leiterin beendet haben, führt uns unsere Mentorin Pravalika, die eigentlich in diesem Center arbeitet, ein bisschen herum. Sie unterhält sich mit ihren Kollegen und wir schauen uns ein bisschen im Raum um. Dort befinden sich zwei mit Gitterstäben versehene Zellen, in denen sich aber keine Menschen, sondern zum einen Bürostühle, zum anderen Mappen über Mappen, in denen sich hunderte von Unterlagen über misshandelte Frauen finden müssen. Kurz muss ich schlucken, dann kommt mir aber dieser Gedanke, dass das Akten von Frauen sind, denen geholfen wurde. Akten von Frauen, die den wichtigen Schritt gewagt haben, sich zu trauen etwas zu sagen und gegen die Ungerechtigkeit, die ihnen von ihren Männern entgegengeschleudert wird, aufzustehen.
Nachdem wir unsere kleine Führung beendet haben, setzen wir uns in einem Zimmer mit unserer Mentorin und einer Mitarbeiterin zum Mittagessen zusammen. Vor dem Essen zeigt uns Pravalika eine Fallakte und erklärt uns, was sie tun, um Paare wieder miteinander zu versöhnen. Bei jedem Paar lassen sie von beiden Partnern einen Vertrag verfassen, mit Forderungen und Versprechungen, die für ein friedliches und harmonisches Zusammenleben garantieren sollen. Diese Verträge müssen dann von beiden Partnern unterzeichnet werden. Auf unsere Frage, ob es denn klappt, meint Pravalika, dass meistens nicht alle Punkte erfüllt werden, es aber der Anfang einer Versöhnung sein kann. Während des Essens durchquert eine junge Frau den Raum, um in einen anschließenden Raum zu kommen. Sie weint und es ist offensichtlich, dass sie dringend die Hilfe braucht, die ihr hier geboten wird. Kurze Zeit später kommt ihr Ehemann mit einer Plastiktüte an. Auf unsere verwirrten Blicke erklärt Pravalika uns, dass sie den Mann losgeschickt haben, um Essen und Trinken für seine Frau zu kaufen. Ohne Widerworte übergibt er das Essen, lungert aber die ganze Zeit vor dem Fenster des Raumes herum und versucht, seine Frau zu Gesicht bekommen. Nachdem die Frau selbst etwas gegessen und ihr Baby mit einer Banane gefüttert hat, fragt uns Pravalika, ob wir während des Beratungsgespräch dabeibleiben wollen. Auf unsere Frage, ob das okay ist, antwortet sie, dass wir es sowieso nicht verstehen werden, da es auf Telugu geführt werden wird. Als die Beratung anfängt, merkt man, dass das junge Paar nicht miteinander kooperieren will. Obwohl wir die Sprache nicht verstehen, bemerken wir die Aggressivität beider und die verzweifelten Versuche, jeweils das Verständnis der Beraterinnen zu erlangen. Die Stimmung ist angespannt und ich versuche, das Baby des Paares mit dummen Gesichtern vom Streit seiner Eltern abzulenken. Während die Beratung läuft, hört man im Nachbarzimmer einen anderen Streit und vor dem Fenster ist auch stets eine angespannte Stimmung, die die Polizistinnen, die in der Station arbeiten, öfter mal deeskalieren lassen müssen. Nachdem die Beratung beendet ist, erklärt unsere Mentorin uns grob, worum es ging und wir merken, dass das nicht das letzte Beratungsgespräch sein wird. Wir bekommen noch einen Chai-Tee gereicht und müssen uns dann beeilen, zu unserem Taxi zu kommen, damit wir zurück in unser Apartment fahren können.
Auf der Rückfahrt schweigen wir zunächst, da wir das gerade erlebte verarbeiten müssen. Diese Erfahrung war für uns beide sowohl beeindruckend als auch erschreckend, da wir gesehen haben, wie intensiv ein solches Gespräch sein kann.

Ich bewundere die Berater in den Centern! Einen solchen Beruf könnte ich nicht Tag für Tag ausführen, ohne anzufangen, darunter zu leiden.

Sonntag, 20. August 2017

Was Benzin mit einem Gefängnis zu tun hat - Teil 2

Noch immer saßen wir in einem kleinen Raum der Tankstelle. Als ein großer weißer Wagen vorfuhr, sprangen die drei Inderinnen, die mit uns im Raum waren, plötzlich auf. „Are we leaving?“, fragte ich meine Mentorin verwirrt. Sie schüttelte nur den Kopf und gab uns zu verstehen, dass wir auch aufstehen sollten. Kurz darauf schritt eine selbstbewusste Frau in Polizeiuniform in den Raum. Die Chefin des Frauengefängnisses höchstpersönlich. Sie begrüßte uns mit Händedruck - nicht mit dem traditionellen Indischen Gruß mit gefalteten Händen – und entschuldigte sich, dass wir das Gefängnisgelände nicht von Innen besuchen durften. Das war nicht ihre Entscheidung, sondern lag daran, dass es in unserem Bundestaat ein Gesetz gibt, dass es Ausländern verbietet, ein Gefängnis zu betreten, insofern sie nicht unendlich viele Papiere ausgefüllt haben und einen zwingenden Grund dafür haben. Sie nahm sich dennoch extra für uns Zeit um uns von ihrer Einrichtung zu erzählen. Sie erklärte uns, dass sie möchte, dass die Frauen das Gefängnis als bessere Personen verlassen und dass Resozialisierung an erster Stelle steht. In dem Gefängnis gehe es nicht darum, die Frauen zu bestrafen, sondern ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, ein Leben ohne Kriminalität zu führen. So gibt es Unterricht und die Möglichkeit, einen Schulabschluss nachzuholen. Außerdem können sich die Inhaftierten dazu entscheiden, Fähigkeiten wie Nähen zu erlernen, um später damit etwas Geld verdienen zu können. Auf dem Gelände werden Bäume und Blumen gepflanzt und es gibt ein kulturelles Programm. Seit zwei Jahren arbeitet auch unsere NGO mit dem Gefängnis zusammen und sorgt sich um die psychologische Betreuung der Insassinnen und um die Gesprächen mit den Familien. Für mich klingt das Konzept durchdacht. Die Frauen, die eigentlich Opfer waren und doch Täter wurden, bekommen eine zweite Chance und auch ihr Umfeld wird für die Problematik sensibilisiert. 

Was Benzin mit einem Gefängnis zu tun hat - Teil 1

Es roch nach Benzin, ein leichter Regenschauer kühlte die Luft ab und wir warteten. Auf wen genau, das war uns am Anfang noch nicht so ganz klar. Alles was wir wussten war, dass wir uns an einer nicht ganz so normalen Tankstelle befanden. Nach der sonst so üblichen Dominanz des männlichen Geschlechts suchte man vergebens. Zumindestens unter den Angestellten. Es waren allein Frauen, die die anbrausenden Motorräder und Autos mit Benzin befüllten und danach abkassierten. Und jede Einzelne von ihnen schien es zu genießen, hier zu arbeiten. Verständlich wird dies, wenn man erfährt, dass es sich bei allen Angestellten um ehemalig Langzeit-Inhaftierte handelt.

Das Gefängnis in Hyderabad reagierte mit dieser Tankstelle auf ein gesellschaftliches Problem. Inhaftierte Frauen werden hierzulande oft von ihrer Familie verstoßen und verlieren ihr gesellschaftliches Ansehen. Und wenn ich bis jetzt in Indien etwas gelernt habe, dann dass die Familie an allererster Stelle steht und es kein schlimmeres Urteil für Frauen geben kann, als von dieser verstoßen zu werden. Zusätzlich ist es auch sehr schwer für diese Frauen, auf eigenen Beinen zu stehen und einen ehrenhaften Beruf zu finden, um ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Diese Tankstelle bietet den Frauen einen Neustart. Die Bezahlung ist - laut Angaben der Chefin – doppelt so hoch, wie im landesweiten Durchschnitt für den gleichen Job. Außerdem sprechen Berater des Gefängnisses (auch in Zusammenarbeit mit unserer NGO Bhumika) mit den Familien und versuchen, sie für die Situation der Frauen zu sensibilisieren. Oft können zumindest die Kinder davon überzeugt werden, dass ihre Mütter keine Monster sind. Aber natürlich ist hier jeder Fall genauso unterschiedlich, wie die angestellten Frauen.

Im Gespräch mit den Frauen fiel mir auf, dass ich für die begangenen Taten sehr viel Verständnis aufbringen konnte. Wenn ich mich in Deutschland mit einer verurteilten Mörderin unterhalten hätte, wäre das wahrscheinlich anders ausgegangen. Aber wenn mir eine Frau anvertraut, dass sie ihre Schwiegermutter oder ihren Ehemann aus Verzweiflung umgebracht hat, um sich selbst vor häuslicher Gewalt und Missbrauch zu schützen, dann ist es mir nicht möglich, diese Frau für ihre Tat zu verurteilen. Dann bin ich eher froh, dass ihr hier eine Chance auf Resozialisierung geboten wird.


Auf wen genau wir jetzt die ganze Zeit an der Tankstelle gewartet haben, dass erfahrt ihr im nächsten Blog-Eintrag.

Mittwoch, 16. August 2017

Unsere erste eigene Wohnung

Am Montag dem 14.08. sind wir nach unserer Zugfahrt und einer kurzen Autofahrt durch Hyderabad in unserer Wohnung angekommen. Wir hatten beide überhaupt keine Vorstellung, was wir uns vorstellen sollen und waren dementsprechend gespannt. Als die Tür geöffnet wurde und wir einen riesigen Raum erblickten, waren wir sehr überrascht. Bei weiterem Umsehen fanden wir heraus, dass die Wohnung neben einer Küche und einem großen Wohn- und Essbereich nicht etwa eins, sondern 3 Schlafzimmer, jeweils mit eigenem Bad, zu bieten hat. Auch ein kleiner Waschraum unter freiem Himmel und ein Balkon gehören dazu. So groß die Wohnung, so minimal die Anzahl an Möbeln. Die gesamte Einrichtung besteht nämlich bisher aus zwei Matratzen, zwei „Bettgestellen“, die aber kein Lattenrost haben, sondern eine durchgängige Holzplatte, zwei Schränken, einem Stuhl und einem Tisch. Zunächst scheint das sehr wenig, allerdings haben wir es geschafft, uns damit ein gemütliches gemeinsames Schlafzimmer einzurichten. Jede von uns hat ihr eigenes „Prinzessinnenbett“, da wir unsere mitgebrachten Moskitonetze über unsere Betten gehängt haben. Auch haben wir Decken, Kissen und Kuscheltiere darauf verteilt, um doch ein kleines Stück Zuhause in Indien zu haben.


Am Mittwoch war Feiertag, weswegen wir eigentlich nichts zu tun hatten. Um aber nicht gelangweilt in der Wohnung zu sitzen, haben wir beschlossen, einen verspäteten Frühjahresputz zu machen. Wir fingen in der Küche an, in der wir alles Geschirr spülten, die Oberflächen wischten und die Schränke aufräumten. Auch verhängten wir ein Abzugsloch mit unserem geliebten Moskitonetz, um uns vor Mücken, Käfern und sonstigem Getier zu schützen. Weiter ging es damit, den Boden zu kehren und zu wischen, was viel Zeit in Anspruch nahm, da wir eben viiiiiiiiiiiel Boden zum Wischen haben. Als wir die letzten Wischmoppzüge im Badezimmer getätigt hatten, waren wir sehr froh, müde und verschwitzt, hatten aber ein bisschen mehr das Gefühl, jetzt in unserer Wohnung zu sein. Alles in allem können wir beide sagen, dass wir nach den 8 Monaten viel gekehrt, gewischt und geputzt haben werden.



1010km

1010km. Das entspricht ca. der Entfernung von Berlin nach Mailand. Oder eben unserer Zugfahrt von Coimbatore nach Hyderabad. Nur dass wir mit dieser Entfernung nicht durch mehrere Länder gereist sind, sondern lediglich von Süd-Indien nach Süd-Indien. 20 Stunden verbrachten wir zusammen mit unserer Mentorin in einem Indischen Zug. Ich persönlich habe davon aber 12 Stunden verschlafen und so kam mir die Fahrt doch vergleichsweise sehr kurz vor. Schlafen kann man in Indischen Zügen jedenfalls bedeutend besser als in der Deutschen Variante. Das liegt daran, dass es richtige Schlafabteile gibt, in denen man sich in Ruhe ausstrecken und ausruhen kann. Tine und mir kam die Ehre zu teil, die oberen Schlafgemächer zu beanspruchen.


Nach einer kleinen Klettereinlage und einer kurzen Gewöhnungszeit an die Höhe, fand ich schon bald meine Nachtruhe. Diese wurde bei uns beiden nur durch wilde Träume gestört, die von Subwoofern, über Autos, bis hin zu einer Menschenmengen eine breite Bandbreite abdeckten. Unser Unterbewusstsein war also anscheinend auch sehr aufgeregt. Als ich die Augen wieder Aufschlug, waren wir schon fast an unserem Ziel angekommen. Nur wenig später holte uns dann der Fahrer unserer Organisation höchstpersönlich vom Bahnhof ab und brachte uns zu unserem neuen Zuhause.


Samstag, 12. August 2017

Unser Leben mit Hans-Norbert

Von Montag, dem 07.08., bis Sonntag, dem 14.08., haben wir im KKID in Coimbatore gewohnt. Jedes Team von uns hat ein Doppelzimmer mit einem kleinen Bad bekommen. Bei uns im Bad hat sich direkt am zweiten Tag ein Gecko eingenistet, den Melanie und ich Hans-Norbert getauft und als Mitbewohner akzeptiert haben. Dass er uns beim Duschen und Schlafen zuschaut, fanden wir am Anfang etwas ungewöhnlich, haben uns aber inzwischen daran gewöhnt. Jedes Mal, wenn wir jetzt in unser kleines Badezimmer kommen, schauen wir, ob er noch da ist oder sich mal wieder hinter dem Spülkasten versteckt. Glücklicherweise bleibt er meistens im Badezimmer, so dass Melanie und ich im Wohnbereich ungestört reden, Musik hören, schlafen oder an unserem Blog schreiben können. Am Sonntag geht es allerdings für uns weiter nach Hyderabad, wohin Hans-Norbert uns leider nicht begleiten kann. Dort werden wir aber mit Sicherheit andere freundliche Mitbewohner in unserem kleinen Apartment haben.

Veerapandi Pirivu

6:45 Uhr. Solche Uhrzeiten sind wir ehemaligen Schüler nicht mehr gewohnt. Trotzdem heißt es heute für uns Aufstehen, Zähneputzen, Anziehen. Also stehen wir auf, ich mache eine Katzenwäsche unter der kalten Dusche, ziehe meine Churidar an, die ich gestern notdürftig gebügelt habe und wir machen uns auf zur Dining Hall, in der wir unsere Lunch Box holen. Unser Frühstück besteht aus einem Egg-Sandwich, Reis mit scharfer Soße und einer Banane. Dann fahren wir zum ersten Mal in einem indischen Bus, die Frauen steigen vorne ein, die Männer hinten. Nach bereits 15 Minuten stehen wir, Melanie, Oscar, Benedict, einige unserer Mentoren und ich, in dem Dorf Veerapandi Pirivu. Nachdem wir nicht mal um 3 Ecken gelaufen sind, treffen wir auf einen älteren Mann, der uns direkt zu sich und seiner Familie einlädt. Wir bekommen Chai-Tee gereicht, den besten, den wir bisher getrunken haben, und gedünstete Reisbällchen mit einer scharfen Minz Soße angeboten.


Die Familie berichtet uns über das Dorf, das nur 1.500 Einwohner hat und in dem ausschließlich die Sprache Kannada gesprochen wird. Da ist für uns sehr praktisch, dass eine Mentorin mit uns unterwegs ist, deren Muttersprache Kannada ist.Wir erfahren, dass wir in der Familie des Dorfoberhauptes gelandet sind, und uns wird ganz stolz von einem Dorftanz berichtet, bei dem 30 Frauen gemeinsam einen Tanz aufführen. Nachdem uns die Kühe und die Ziege der Familie präsentiert werden, werden wir zum Fernsehzimmer geführt, in dem uns eine Aufnahme des Tanzes gezeigt wird.


Danach geht es weiter in die Backstein-Manufaktur des Dorfes, in der täglich 3000 Backsteine produziert werden. Dort sehen wir 5 Arbeiter, die wie am Fließband Backsteine produzieren und zum Trocknen auslegen.


Da wir vorher erfahren haben, dass der nächste Bus zurück zum KKID erst am Abend fährt, fahren wir mit einer Riksha zurück. Dabei sitzen wir mit 7 Leuten in einer kleinen Riksha, die Frauen vorne, die Jungs hinten, so dass ihre Beine aus dem Kofferraum baumeln. Nachdem wir mit der kleinen Riksha den Berg herauf getuckert sind, wir dachten kurz, unsere Jungs müssten aussteigen und schieben, haben wir es geschafft und sind voller wunderschöner Eindrücke wieder im KKID angekommen und müssen erstmal alles besprechen und verarbeiten.


Freitag, 11. August 2017

Wohin mit den Gastgeschenken?

Dass wir in einer Gastfamilie leben würden, wurde uns schon vor langer Zeit gesagt. Wer diese Gastfamilie ist, leider nicht. Da es bei unseren Vorgängerinnen wohl ein paar Probleme gab beim Zusammenleben mit einer Gastfamilie, sollten diese bei uns vermieden werden. Deshalb dachten wir bis gestern, dass einfach eine andere Gastfamilie für uns gesucht wird. Dass es ganz anderes laufen wir bei uns, damit haben wir nicht gerechnet. Aber so ist es jetzt. „Your apartment will be close to the office “, teilte uns Malti mit. Halt. Apartment? Seit wann denn das? Nun seit jetzt anscheinend. Bis jetzt konnten wir in Erfahrung bringen, dass wir auf jeden Fall ein eigenes Zimmer in einem zu Bhumika gehörendem Haus haben werden. Und für uns selbst kochen dürfen. Also doch keim Curry zum Frühstück. Sondern Toast und Cornflakes. Unser Magen wird es uns wohl noch danken. Bilder werdet ihr dann irgendwann nächste Woche zu sehen bekommen, dann wissen wir genaueres über unsere Wohnsituation. Dass wir jetzt ein paar Gastgeschenke zu viel haben (wir haben ja eine ganze Gastfamilie mit eingeplant), ist dann auch nicht so schlimm. Die Süßigkeiten können wir ja einfach selbst essen. 

Mittwoch, 9. August 2017

Ein Bad in Quecksilber

Indien ist das Land der religiösen Vielfalt. Die große Mehrheit der Inder gehört zwar dem Hinduismus an, aber auch der Buddhismus, das Christentum und der Islam sind jeweils vertreten. Und so machten wir uns gestern auf zu einer spirituellen Tour. Zuerst besuchten wir einen Uni Campus, auf dem eine christliche Kirche stand. Das war daran aber nicht das eigentlich sehenswerte. Interessant war das, was sich hinter der Kirche befand. Die Kreuzigungsgeschichte Jesu, dargestellt mit riesigen Plastikfiguren, die an einen deutschen Märchenwald für Kinder erinnern. Für uns Außenstehende wirkte die Szenerie recht skurril, aber ich bin mir sicher, dass Gläubige diesen Ort gerne besuchen.



 Nach einem Schauer, der uns alle zum Frieren brachte (ja, man kann in Indie frieren!) ging es weiter zur größten Büsten-Statur der Welt, die Adiyogi Shiva Statue. Sie ist 34m hoch und sehr beeindruckend. Sie wurde zu Ehren des Hindu Gott Shiva errichtet, der als der erste Yogi zählt und als Bekämpfer des Bösen.


Nach einer kurzen Meditation vor der Statur, ging es dann weiter ins Meditation Center Dhyanalinga. Dies widmet sich keiner speziellen Religion oder Glaubensrichtung, sondern steht jedem offen, der seine innere Ruhe finden möchte. Zu unserer Überraschung durften wir dort sogar in Badekleidern in einem Becken baden, das heilende Wirkung für den Körper verspricht und eine spirituelle Reinigung herbeiführen soll. In der Mitte des Beckens war ein Ei aus Metall, von welchem die heilende Wirkung ausgehen soll. Dass dieses Ei aus Quecksilber war und auch das Wasser damit versetzt ist, fanden wir erst später heraus. Ob das nun heilend oder giftig ist, weiß ich leider selbst nicht so genau. Der Aufenthalt war trotzdem sehr entspannend, da störte es auch gar nicht weiter, als uns nach dem Baden auffiel, dass wir gar keine Handtücher zum Abtrocknen dabei hatten. Dann wird eben improvisiert.


Abschließend ging es nochmals zu zwei Gebet- und Meditationsstätten, wo wir noch Zeuge verschiedener Zeremonien wurden. Alles in allem war es ein sehr aufschlussreicher Tag und ich bin sehr froh, dass ich ein Teil des Ganzen sein darf. 

Die Bilder in diesem Artikel wurden freundlicherweise von Simon zur Verfügung gestellt. Mehr Bilder von ihm findet ihr auf seinem Blog

Von bunten Farben und Stoffen

„Ihr müsst einfach nur über die Straße, da drüben ist das Kaufhaus schon.“ Einfach über die Straße?! So einfach war das eigentlich gar nicht. Eine Ampel gab es jedenfalls nicht. Aber mit Maltis Hilfe schafften wir es letztendlich alle behütet bis ans Kaufhaus. Was wir dort machten? Indische Klamotten einkaufen. Als Europäer fällt man hier in Indien schon allein aufgrund der Hautfarbe auf. Wenn man dann auch noch enge Jeans und ein Top trägt kann man sicher sein, dass einem so gut wie alle Blicken folgen werden. Daher ist es auch für uns angenehmer Chudis zu tragen. Dies sind die indischen Tunikas, die zusammen mit einer Hose oder auch Leggings getragen werden. Außerdem finde ich persönlich die Farben und Muster auch wunderschön und bin stolz mich jetzt die Besitzerin von 3 Chudis nennen zu können. Das Kaufhaus ist von der Größe her wahrscheinlich mit dem Deutschen Karstadt zu vergleichen. Nur das alle 4 Stockwerke mit bunten Stoffen und Kleidern aller Art ausgestattet sind. So kam es auch, dass wir - zum Leidwesen unserer 3 Jungs - etliche Stunden mit an- und ausprobieren verbrachten. Letztendlich fanden wir alle passende Kleidung und sind froh jetzt schon ein Stück mehr „indisch“ zu sein.




Dienstag, 8. August 2017

Angekommen.

Angekommen. Und doch ist es noch surreal. Dabei sind wir bereits seit 2 Tagen umgeben von bunten Saris, Reisgerichten und einer wunderschönen Landschaft. Noch fühlt sich alles an wie ein kurzer Ausflug, ein Urlaub. Das könnte auch daran liegen, dass wir uns noch nicht an unserem endgültigen Ziel befinden, sondern noch in Coimbatore sind. Warum wir hier sind? Hier steht das KKID (Karl Kübel Institute for Development Education), wo wir unsere erste Woche verbringen dürfen. Hier haben wir die Chance uns langsam an die indische Kultur zu gewöhnen und unsere Mentoren kennen zu lernen. Begleitet werden wir dabei von der Mentorin Malti, einer der herzlichsten Menschen, die ich je kennen lernen durfte. Das erleichtert den Einstieg erheblich. Selbst Yoga steht auf unserem Plan. Heute Morgen gingen wir auch gemeinsam spazieren. Bei überraschend angenehmen Wetter. Tagsüber ist es natürlich warm, aber es ist nicht unerträglich heiß. Der Wind und die Wolken machen das Wetter hier angenehm. 






Vom Verabschieden, Vermissen, Heimweh haben und fliegen lernen- Teil 2

Der Gedanke an den Abschied am Flughafen von meinen Eltern, meinem Bruder und meinem Freund war für mich die letzten 2 Wochen vorm Abflugstermin eine große dunkle Wolke, die sich immer wieder in den Raum geschoben hat, wenn ich Zeit hatte, nachzudenken. Und es war eine wirklich sehr hässliche Wolke.
Der Abschied vor nun ca. 25 Stunden war letztendlich aber kurz und schmerzlos. Ich hatte mit Tränen gerechnet, damit, dass wir alle im Flughafen an meinen Tränen ertrinken. Als wir uns vorm Sicherheits-Check-In schließlich verabschieden mussten, ging es erschreckend schnell. Ein paar Umarmungen, ein paar nette Worte, ein paar letzte Küsse für die nächsten paar Monate. Ein, für mich, wunderschöner Abschied, den ich genießen konnte und an den ich mich gerne erinnere. Keine Sorgen, keine Angst, keine schlechten Gedanken. Ganz zum Schluss drückte mein Freund mir mit einem breiten Lächeln im Gesicht noch einen USB Stick in die Hand. Auf diesem USB Stick waren 4 von ihm eingespielte und eingesungene Lieder gespeichert, einige meiner Lieblingssongs. Als ich in der Abflughalle eines dieser Lieder abspielte, flossen bei mir die ersten Tränen, vor Rührung und bei dem Gedanken, dass ich diese Stimme die nächsten Monate nur übers Internet hören könnte.

Was mir dann während dem Flug auffiel war, dass es keinen einzigen Film gibt, den man schauen kann, wenn man die wichtigsten Menschen in seinem Leben gerade einige tausend Kilometer hinter sich lässt. Entweder geht es um eine rührende Liebesgeschichte, Freundschaft oder die Familie. Und ich, die ich sowieso extrem nah am Wasser gebaut bin, konnte keinen dieser Filme schauen, ohne am Ende zu weinen. Aber das ist okay. In genau diesen Momenten stärkt mich auch der Gedanke an die Menschen, die mir daheim den Rücken stärken und immer für mich da sind, egal wo ich mich aufhalte. 

Vom Verabschieden, Vermissen, Heimweh haben und fliegen lernen- Teil 1

„Wenn du etwas liebst, lass es frei. Kommt es zu dir zurück, darfst du es für immer behalten.“
Dieses Zitat schleicht schon seit Wochen in meinem Kopf herum. Und dabei geht es einerseits um meine Familie, meinen Freundeskreis und meinen Freund, ohne die all dies hier nicht möglich gewesen wäre. Ich muss mich wirklich bei euch bedanken! Keiner von euch ist gekommen und hat versucht, mir dieses Vorhaben, das große Abenteuer „Indien“, auszureden. Nein, es war genau das Gegenteil. Ihr habt mir so viel Kraft und Mut gegeben, mich auf dieses Abenteuer einzulassen und mich darin zu bestärkt, dass es das Richtige ist. Und diese Tatsache ist nicht selbstverständlich. Einige Leute haben in Gesprächen über Indien auch ihre Bedenken geäußert, was für mich nachvollziehbar ist, aber nie ein Grund gewesen wäre, von meinem großen Traum abzulassen.
Auch muss ich mich bei euch bedanken, dass ihr mir nie einen Vorwurf gemacht habt, dass ich ins laute, bunte, wunderschöne und aufregende Indien gehe und euch in Deutschland zurücklasse. Und glaubt mir eins, ich werde zu euch zurückkehren, zu jedem Einzelnen von euch und dann werde ich euer Leben mit lauten, bunten, wunderschönen und aufregenden Geschichten bereichern (und eventuell auch ein bisschen nerven…)


Am Flughafen

00:37 Uhr in Deutschland, 04:07 Uhr in Indien. Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem ersten Schritt. Diesen ersten kleinen Schritt in unser riesiges Abenteuer haben wir geschafft. Nach 8 Stunden im Flugzeug haben wir um kurz vor 1 Uhr indischer Zeit den Flughafen Mumbai erreicht. Nachdem auch die letzten Reiserucksäcke vom Kofferband genommen wurden, wir problemlos durch die Zollkontrolle gekommen sind und nach kleinen sprachlichen und müdigkeitsbedingten Hürden auch durch das Check-In und die Gepäckabgabe, sitze ich nun hier, am Gate 49A. Die ersten Flaschen Wasser haben wir bereits gekauft und ich bin ganz stolz, weil ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas mit meiner Visa-Karte bezahlen konnte, auch wenn es „nur“ 2 Flaschen Wasser waren. Das „nur“ kann aber falsch verstanden werden, da wir für zwei 0,5 Flaschen Wasser 120 Rupien gezahlt haben, was umgerechnet 2€ entspricht. Zunächst scheint das nicht viel zu sein, es entspricht hier aber auch den wohlbekannten Flughafenpreisen.

Unser Flug geht um 10:05 Uhr, das heißt, dass wir bis zum Start noch ein paar Stunden Zeit haben. Melanie versucht, wie einige andere auch, zu schlafen. An Schlaf ist bei mir aber gerade nicht zu denken. Ich bin zwar müde und ausgepowert, aber zum Schlafen viel zu aufgedreht. Die Tatsache, dass ich die nächsten 8 Monate meines Lebens in Indien verbringen werde, ist gerade dabei, sich in meinem Kopf einzunisten und sorgt dabei für ordentlich Aufregung. 

Samstag, 5. August 2017

Mein Leben in 15kg

Keine 24 Stunden mehr. Dann sitzen wir im Flieger Richtung neue Heimat Indien. Ein nervenaufreibender Mix von Aufregung, Vorfreude, Ungewissheit und Abschiedsschmerz treibt sich in mir herum. Tine und ich sind das einzige Team, das während der Zeit in einer Gastfamilie leben wird. Nur leider kennen wir diese noch nicht. Das hat das Kaufen von Gastgeschenken nicht gerade leichter gemacht. Aber die Spannung treibt es auf jeden Fall in die Höhe. Und nun geht er also los, der letzte verzweifelte Versuch, mein Leben in einen Rucksack zu stopfen. Einer der aufgrund des inner-indischen Flugs nicht schwerer sein darf als 15kg. Selbst wenn es diese Begrenzung nicht gäbe, bei 32 Grad ist man wahrscheinlich trotzdem über jedes Kilo froh, dass man weniger mit sich herum tragen muss. Ein Pack-Geschick, das an eine Mischung aus Tetris und wahlloses Stopfen erinnert, ist also gefragt. Ob mein Geschick ausreicht, um alles zu verstauen, muss sich im Laufe des Nachmittags noch zeigen. Fest steht aber, dass dies vermutlich der letzte Eintrag aus Deutschland sein wird. Ihr könnt euch also schon auf den nächsten Bericht freuen, wenn unser Abenteuer Indien dann so richtig angefangen hat.

Donnerstag, 3. August 2017

Die Gefahr einer Geschichte

Geschichten haben Kraft. Sie verleihen uns die Fähigkeit über Erlebtes zu erzählen. Für manche bieten sie auch die Möglichkeit sich selbst zu inszenieren. Aber eine Gefahr schwingt mit jeder Geschichte mit. Sie ist immer subjektiv. Und sie kann immer nur einen kleinen Teil des Großen und Ganzen erfassen. Genau so ist es  auch mit unserem Blog. Nur weil wir von dem Leben in einer Indischen Großstadt berichten werden, heißt das nicht das ganz Indien eine Großstadt ist. Und nur weil das Gebiet in dem wir leben muslimisch geprägt ist, heißt das nicht auf ganz Indien bezogen, dass der Islam überall prägend ist. Im Gegenteil ist diese Religion in Wahrheit eine Minderheit in Indien. Eben nur gerade da nicht, wo wir unsere Erfahrungen sammeln werden. Es wird uns unmöglich sein einem so großen und vielfältigen Land gerecht zu werden. Natürlich können wir nur unsere Erfahrung wiedergeben, aber uns ist es sehr wichtig, darauf hin zu weißen, dass man ein Land nicht nur durch eine Geschichte kennen lernen kann. So entstehen sehr schnell Vorurteile. Unzählige male wurde auch ich gefragt: "Wirst du als Frau da nicht missbraucht?" oder "Wie machst du das dann eigentlich, so ganz ohne Supermärkte?". Das Indien aber genau so wie europäische Länder Shopping Malls bietet und die Rolle der Frau nicht so einfach mit "Missbrauchsopfer" abzustempeln ist, wird leider oft vergessen. Bevor man in seinem Kopf also ein Bild eines Landes oder einer Kultur entwirft, sollte man sich vorher viele Geschichten anhören. Wenn möglich sogar seine eigene Geschichte erleben. Denn nichts ist so vielfältig und komplex wie die Menschen, die ein Land prägen. Denn das ist es ja, was letztendlich jeden Ausgang einer Geschichte bestimmt, die Menschen.


Anmerkung: Die Idee der Gefahr einer "Single-Story" ist nicht von mir. Mit dem Thema wurden wir während unseres 2. Vorbereitungsseminars konfrontiert. Wer sich näher mit der Problematik auseinandersetzen möchte, sollte sich die Rede von der Feministin Chimamanda Ngozi Adichie ansehen.